SALLY im Zeitraffer zur Traumkatze

Eine Katze allein auf den Straßen Madrids ist ein alltäglicher Anblick. Diese „Normalität“ wird den Katzen oft zum Verhängnis, denn mit ihr sinkt leider die Aufmerksamkeit und Hilfsbereitschaft von Passanten, sich um das Kätzchen zu kümmern oder auch nur im Tierheim Hilfe anzufordern. „Normal“ war für Sally (geb. ca. 05/2017) ohnehin gar nichts. Sie befand sich in einem absoluten Ausnahmezustand. Alles war fremd und angsteinflößend, sie hatte Hunger und vor allen Dingen hatte sie große Schmerzen. Ein Kioskbesitzer informierte schließlich unsere Tierschutzkollegen, damit sie Sally abholten. Ob nun aus Hilfsbereitschaft oder weil er keine Streunerkatze in der Nähe seines Geschäftes duldete – einzig das Ergebnis zählt und das hieß „Rettung für Sally“.

Bei der Eingangsuntersuchung fiel auf, dass Sally einen Mikrochip trug, der jedoch nicht registriert war, so dass kein Besitzer ermittelt werden konnte. Da es aber auch keine aktiven Nachfragen nach einer entlaufenen Katze gab, wollte der Besitzer vielleicht auch gar nicht ausfindig gemacht werden. Für gekennzeichnete Tiere gibt es eine Sperrfrist, so dass Sally nicht nur die Quarantänezeit durchlaufen, sondern auch auf ihre Vermittlungsfreigabe warten musste.

In der Quarantänebox sind viele Katzen durch die steril wirkende und wenig anheimelnde Atmosphäre zusätzlich eingeschüchtert. Doch Sally kauerte nur in einer Ecke und zeigte durch Sabbern ganz deutlich, dass sie starke Schmerzen hatte. Die nötige Zahnsanierung konnte daher nicht erst nach Ablauf der Quarantänezeit durchgeführt, sondern musste dringend vorgezogen werden. Die Operation fiel leider umfangreicher aus, als ursprünglich gedacht. Letztendlich mussten sämtliche Zähne entfernt werden, um endlich Ruhe und Heilung in den stark entzündeten Mundbereich zu bringen.

Mehrfach hatten wir begonnen, einen Beschreibungstext zu verfassen, doch jedes Mal kamen neue Informationen aus Spanien über Sallys Entwicklung. „Nichts ist so beständig wie der Wandel“ wusste bereits der griechische Philosoph Heraklit vor 2500 Jahren. Und Sally ist wirklich ein Überraschungs-Ei, das mit jeder Schicht, die man abpellt, süßer und interessanter wird.

Endlich schmerzfrei schmeckt Sally nicht nur das Fresschen wieder gut, sie lässt sich auch mit Leckerchen bestechen und aus ihrer Schüchternheit hervorlocken. Was auf den Videos vielleicht etwas gefährlich aussieht, ist ihrer momentanen Unsicherheit geschuldet, denn so ganz traut sie auch ihrer eigenen Courage noch nicht. Da Filme leider nur mit den Augen und Ohren, nicht aber mit dem Tastsinn wahrgenommen werden können, kann man als Betrachter nicht wissen, dass Sally immer ganz brav ihre Krallen eingezogen hat und nur mit Samtpfötchen schlägt, quasi ein Schattenboxen auf Katzenart.

Aber Sally wäre nicht Sally, wennsie nicht doch ihren ganzen Mut zusammennehmen und sich auf das „Abenteuer Mensch“ einlassen würde. Ja – nein – vielleicht – lieber nicht – doch unbedingt – diese Gedanken gingen vermutlich im Sekundentakt durch Sallys hübsches Köpfchen, als sie erstmals auf Schmusekurs ging. Die Tierheimmitarbeiterin war so überrumpelt, weil sie mit einer so raschen und vertrauensvollen Annäherung von Sally zu diesem frühen Zeitpunkt noch gar nicht gerechnet hatte und wagte kaum zu atmen, als Sally sich schließlich auf ihrem Schoß zusammenkringelte.

Auch ihr softer Raubkatzen-Look in goldenen und platinfarbenen Pastelltönen verrät, dass Sally keine gefährliche Tigerin, sondern eine zukünftige Schmusekatze ist.

Mit anderen Katzen versteht sich Sally problemlos. Sie beginnt jetzt auch zu spielen und sich viel mehr im Gemeinschaftszimmer zu bewegen, das sie am Anfang eher aus einer sicheren Eckperspektive betrachtet hat. Für Sally wäre daher ein menschenbezogenes Samtpfötchen oder auch eine kleine Katzengruppe perfekt, um sich im neuen Zuhause schnell einzuleben.

Unserer Sally würden wir uns zum jetzigen Zeitpunkt Menschen mit Grundkenntnissen in der Katzensprache wünschen, die einen ruhigen und besonnenen Umgang mit ihr pflegen, der ihr die Zuversicht und Sicherheit bietet, die sie in ihrer traurigen Vergangenheit missen musste. Doch wer weiß? Bei Sallys rasanten Fortschritten, schreiben wir diesen Text vielleicht bald schon wieder um.

Sally ist für die große Veränderung in ihrem Leben gut vorbereitet. Sie ist kastriert, geimpft, negativ auf FIV und FeLV getestet, sie trägt ihren jetzt registrierten Mikrochip, damit sie niemals mehr verloren gehen kann und ein EU-Heimtierausweis ist auf ihren Namen ausgestellt.

Sally – im Zeitraffer von einem Häuflein Elend zur Traumkatze.

sozial und verträglich, verschmust