Die Eisbärin mit dem schwarzen Auge
Niemand hatte sie jemals gesehen. Der Schornsteinfeger nicht, die Bäckerin nicht und der Anwalt schon gar nicht. Wie denn auch, schließlich war sie seit Jahren eingesperrt in ein Verlies.
Bis dahin bekam sie niemals die Chance, ihr wahres Wesen zu zeigen. Sie konnte nicht aufstehen und rufen: „Seht her, wie unrecht ihr mir tut. Ich bin keine Bestie, ich störe nirgends. Ich sehne mich nur nach ein bisschen Aufmerksamkeit, ein bisschen Futter und wenn ihr Zeit habt, hin und wieder nach einer kleinen Streicheleinheit. Ich beiße nicht, ich stehle nicht, ich mache nichts kaputt. Was kann ich dafür, dass ich in diese Welt geboren wurde?“
Aber ihr habt mich nicht gehört. Nicht einen einzigen meiner Rufe. Ihr habt mich behandelt, als wäre ich eine bissige Aussätzige.
Ihr habt nicht einmal gemerkt, dass meine Pfote zertrümmert war. Eingesperrt habt ihr mich. Ich konnte nicht aufstehen und lag in meinen eigenen Exkrementen.
Jahrelang habe ich darüber nachgedacht, was an euch anders ist, woher ihr das Recht nehmt, zu glauben, nur eure Wahrnehmung ist die richtige?
Ich habe gefühlt und gelitten, gefroren und gedurstet.
Ich habe davon geträumt, eine von euch zu sein und dem Verlies zu entkommen.
Ich sehe sie an und begreife nicht, warum dieses große und doch zarte Wesen das alles aushalten musste. Meine runde gutmütige Eisbärin, die sich jetzt auf meinem Wohnzimmerteppich wohlfühlt.
Sie war eine von vielen, eingesperrt in einem Tierheim. Aus ihren Augen klagten die oben genannten Sätze, gepaart mit Resignation. Ich streckte ihr meine Hand entgegen. Ich erzählte ihr eine Geschichte, ihr Blick blieb starr. Doch auf ein Mal hob sie langsam ihr Hinterbein an, damit ich ihr den Bauch graulen durfte.
Mir rannten die Tränen über die Wangen, in diesen Momenten schreit die Ungerechtigkeit bis zum Himmel und es gibt keinen anderen Weg, als diesen Kreislauf zu durchbrechen.
Ich hole Dich hier raus, ich operiere Dein Bein und ich werde für Dich ein neues Zuhause suchen. Ich werde dafür sorgen, dass jeder Dich kennen wird.
Und genau das tat ich.
Sind Sie also Schornsteinfeger, Bäckerin oder Anwalt... wegsehen geht nicht mehr, wenn Sie bis hierhin gelesen haben. Jetzt haben Sie sie gesehen, kennen ihre Geschichte, wissen, dass meine Elsa ein Schatz ist, der ihre Kinder lieben wird. Sie wissen, dass Elsa nichts kaputt macht und glücklich ist, wenn sie im Garten auf ihre Heimkehr warten darf. Bleiben Sie aber nicht zu lange weg, sonst hüpft sie über Ihren Gartenzaun und sucht sie. Andere Hunde? Kein Problem. Faul herumliegen? Kein Problem. Bauchkraulen? Kein Problem. Ihre Pfote? Schon noch ein Problem, aber wir arbeiten noch an einer Verbesserung. Mit einem angefertigten Schuh wird Elsa noch mehr Freude an Spaziergängen haben. Da ein Teil ihres Hauptballens fehlt, müssen wir mit einem Schuh den Bereich schützen. Der Test auf Reisekrankheiten ergab ein positives Ergebnis auf Herzwurm. Sie zeigt aber keinerlei klinische Symptome und die Behandlung wurde bereits begonnen.
Und noch etwas:
Elsa ignoriert mich nicht mehr. Ich darf behaupten, sie liebt mich. Sie kommt zu mir gerannt, wenn ich nach Hause komme, sie wartet schwanzwedelnd, wenn wir zu einem Spaziergang aufbrechen. Sie verzeiht uns Menschen (den Männern noch nicht so ganz) und bedankt sich auf ihre Art jeden Tag von neuem, dass wir sie gesehen haben.
Jeder hat sie inzwischen gesehen! Jeder! Auch Sie.
Ihre Melanie
Wichtiger Hinweis: Bevor Sie eine Adoption in die Wege leiten, vergewissern Sie sich, dass der Hund hinsichtlich seiner Rasse keinem Einfuhr- und Verbringungsverbot nach Bundes- oder Landesrecht unterliegt. Wenden Sie sich im Zweifel an Ihr zuständiges Ordnungsamt.